Wir freuen uns, dass der Podcast „Pflegefamilien Deutschland unseren Förderverein in sein Hörmagazin eingeladen hat. Wir konnten über unsere Gründungsgeschichte, unsere Vision, unsere Ziele und über unsere Arbeit berichten.
Als aktive Mitglieder waren an dem Interview Anette Hoffmann Thiel, Martina von Keitz und Ramon Iglesias beteiligt. Wir danken Pflegefamilien Hessen und der Pflegefamilien Akademie vom St. Elisabeth-Verein e.V. für diese Möglichkeit. Und wir danken unseren Mitgliedern für ihr Engagement.
Hier können Sie den Podcast hören:
Förderanträge gehen ein…
Uns freut sehr, dass sowohl die Zugriffe auf unserer Internetseite zunehmen, als auch die Förderanträge. Aktuell haben wir eine Care Leaverin aus einer Pflegefamilie bei einer medizinischen Behandlung finanziell unterstützt. Zudem bearbeiten wir gerade einen Antrag auf Bezuschussung einer jungen Frau aus einer Pflegefamilie, die ein Gesangsstudium beginnen möchte. Und wir beraten eine Förderung die sich auf den Ausbildungsbeginn als Krankenschwester bezieht.
Wir sprechen mit jedem Antragsstellenden persönlich und sondieren verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung. Dann beraten wir im aktiven Mitgliederkreis sehr ausführlich jeden einzelnen Antrag, um zu guten und auch verantwortbaren Lösungen zu kommen.
Persönliche Geschichten
Hinter jedem Antrag steckt eine ganz persönliche Geschichte, ein ganz individuelles Schicksal, so dass es angezeigt ist sehr sensibel vorzugehen. Dennoch möchten wir gerne – oftmals anoymisiert – unsere Förderer an den Geschichten teilhaben lassen. Gerade bereitet Martina von Keitz einen Magazinbeitrag über die Care Leaverin vor.
Und wir haben schon mit dem Podcast Pflegefamilien Deutschland verabredet, dass wir in dem Hörmagazin vielleicht weitere Geschichten erzählen können.
Wir haben den Förderverein Ende März gegründet und im Sommer vor einem Jahr offiziell mit der Arbeit begonnen, als dann alle Formalitäten erledigt waren.
Was haben wir bisher getan…
Wir haben mit allen Mitgliedern einen Fundraising Workshop durchgeführt und ein Konzept für die nächsten 3 Jahre erarbeitet. Dazu haben wir eine Internetseite an den Start gebracht, ein Spendensystem integriert und erste Spenden akquiriert. Inzwischen ist ein 6 -stelliger Betrag zusammen gekommen. Zuletzt haben wir uns sehr über einen Förderung von Henkel gefreut. Sie unterstützen uns bei der Ausstattung für einen Tagungs- bzw. Spendenakquisestand, so dass wir unser Öffentlichkeitsarbeit noch verstärken können.
Henkel schreibt auf seiner Homepage zum Sozialen Engangement folgendes:
„Organisationen und private Initiativen weltweit sind auf Menschen angewiesen, die bereit sind, in ihrer Freizeit ehrenamtlich zu helfen. Als eines der ersten Unternehmen in Deutschland hat Henkel 1998 ein Programm ins Leben gerufen, das Mitarbeiter in ihrem Einsatz bestärkt. „Miteinander im Team“, kurz „MIT“, fördert Eigeninitiative und gesellschaftliches Engagement. Bisher hat das Familienunternehmen so rund 14.000 gemeinnützige Projekte in mehr als 100 Ländern unterstützt – mit Sach- und Geldspenden, aber auch mit Zeit, in der Mitarbeiter bezahlt freigestellt werden, um etwas vor Ort zu bewegen. Aktive und ehemalige Henkelaner packen da an, wo Hilfe nötig ist, und leisten einen kleinen Beitrag für eine bessere Welt: Sie bauen Brücken in Vietnam, bringen Kindern Fußball bei oder arbeiten in einem ugandischen Waisenhaus.“
Wir freuen uns sehr, dass wir eines dieser vielen tausend Projekte sind. Unser aktives Mitglied Manfred Milz hat als ehemaliger Henkel Mitarbeiter die Kontakte vermittelt und sich für uns eingesetzt. Herzlichen Dank an Henkel und Manfred Milz.
von Jana Bamberger, Master Studierende im Bereich „Soziologie und Sozialforschung“ an der Universität Marburg.
Durch die Aufnahme von Pflegekindern in eine Pflegefamilie sollen diese Geborgenheit, Liebe, Unterstützung und Anerkennung erfahren und dazu befähigt werden, ein selbstbestimmtes und zufriedenstellendes Leben zu führen. Auf dem Weg in eine selbstbestimmte und gleichberechtige Zukunft stellen sich Pflegekindern jedoch noch immer zahlreiche Hürden, welche diesen einen erfolgreichen Lebensverlauf erschweren oder gar unmöglich machen…
Schwierige
Herkunftsverhältnisse
Pflegekinder sind durch Erlebnisse in ihren
Ursprungsfamilien oftmals sehr stark geprägt und benötigen daher eine spezielle
Förderung und besonders starken Rückhalt. Die meisten Pflegekinder stammen aus
Familien, in denen die Eltern – oftmals auch alleinerziehende Elternteile –
nicht in der Lage sind, ausreichend für ihre Kinder zu sorgen. Die Gründe
hierfür können vielfältig sein und erstrecken sich von persönlichen
Schicksalsschlägen über physische und psychische Krankheiten oder
Drogenabhängigkeit bis hin zu finanzieller Not. Oftmals häufen sich mehrere
Probleme an und werden zu einer ausweglos erscheinenden Situation, in welcher
die Familien keinen ausreichenden Rückhalt erfahren. Nicht selten kommt es vor
diesem Hintergrund auch zu Misshandlungen der eigenen Kinder.
Die Erlebnisse in den Herkunftsfamilien führen
häufig dazu, dass die Kinder Verhaltensweisen entwickeln, die ihnen helfen mit
ihrer Situation zurechtzukommen. Diese Verhaltensmuster können sich für die
weitere Entwicklung der Kinder und das Zusammenleben mit anderen Menschen
jedoch äußerst schwierig und problematisch gestalten.
Übergangsproblematik
von Pflegekindern
Insbesondere der Übergang in das Erwachsenenalter gestaltet sich für Pflegekinder oftmals als schwerwiegende Herausforderung. Junge Menschen, die eine gewisse Zeit in der stationären Erziehungshilfe oder in einer Pflegefamilie gelebt haben und sich im Übergang in das Erwachsenenalter befinden, werden hierbei als Careleaver bezeichnet. Im Gegensatz zu Jugendlichen, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, werden Careleaver mit besonderen Schwierigkeiten und Herausforderungen konfrontiert. Aufgrund ihrer Erlebnisse sind sie psychisch und emotional oftmals stark belastet und verfügen über weniger stabile Beziehungen und familiäre Unterstützung, auf welche sie zurückgreifen können. So ist es dringend geboten Chancengleichheit für Pflegekinder herzustellen. Folgendes Zitat verdeutlich den Aspekt:
„Oftmals sind wechselnde Bezugspersonen und Hilfesysteme im Übergang ein riesiges Problem. Das ganze soziale Netzwerk muss einen Wechsel im Lebenslauf mittragen und oftmals sind Careleaver in dem Moment auf sich allein gestellt. Nicht jeder mit stationärer Jugendhilfeerfahrung hat solche Pflegeeltern im Rücken, die sich auch nach 18 noch für ihren Schützling verantwortlich fühlen.“ (Roxan in Familie für Kinder 2015 2018c)
Finanzielle
Not
Darüber hinaus sehen sich viele Careleaver mit
finanziellen Problemen konfrontiert. So müssen nahezu alle Kinder, die in Deutschland
in einer Pflegeeinrichtung oder Pflegefamilie leben, 75% ihres Einkommens an
das Jugendamt abgeben – unabhängig davon, ob sie arbeiten, einen Nebenjob
haben, eine Ausbildung machen oder einen Bundesfreiwilligendienst oder ein FSJ
absolvieren. Während der Jugendhilfe Geld anzusparen, ist für Pflegekinder
demnach nahezu unmöglich, wodurch u.a. auf dem Wohnungsmarkt gravierende
Nachteile für Careleaver entstehen.
„Der Übergang war furchtbar emotional. Ich war am Boden, ich war irgendwo orientierungslos und verzweifelt und mit meinem Konto total im Minus. Ich dachte oft, ich schaffe es nicht und die Kraft reicht gar nicht.“ (Rosi in Familie für Kinder 2015 2018c)
Zwar gibt es die Möglichkeit eine
Befreiung/Reduzierung der Kostenheranziehung zu beantragen, dies ist vielen
Jugendlichen und auch den pädagogischen Fachkräften oftmals jedoch gar nicht
bekannt. Zudem ist ein Antrag auf Kostenbefreiung bzw. -reduzierung mit einem
enormen Zeit- und Nervenaufwand verbunden.
Volljährigkeit
= Selbstständigkeit?
Während Jugendliche, die bei ihren leiblichen Eltern
leben können, ihr Elternhaus im Durchschnitt immer später verlassen, wird von
Careleavern oftmals erwartet, dass sie bereits mit 18 Jahren auf eigenen Beinen
stehen. Viele von ihnen werden in eine oft unzureichend geklärte Zukunft
entlassen und müssen mit ihren Sorgen und Ängsten alleine zurechtkommen. Einige
von ihnen suchen Hilfestellungen bei verschiedenen Leistungsträgern, werden
jedoch oft aufgrund einer unklaren Zuständigkeit von den Ämtern abgewiesen.
„Das Ende der Jugendhilfe war damit klar. Alles was daraus folgte war sehr chaotisch. Ich wollte weg, hatte aber auch nicht den Mut und das Wissen, wie man das systematisch angeht.“ (Ludwig in Familie für Kinder 2015 2018c)
Wenn nach dem Jugendhilfeende größere
Schwierigkeiten auftreten, können die
ehemaligen Pflegekinder i.d.R. nicht zurück in ihre vorherigen Wohnheime oder
Erziehungsstellen. In solchen Situationen leisten einige ehemalige
Pflegefamilien Nothilfe und nehmen die Jugendlichen erneut bei sich auf. Jedoch
erhalten sie für ihre Tätigkeit ab diesen Zeitpunkt kein Pflegegeld mehr und
müssen auf privater Basis Leistungen abdecken, die eigentlich von öffentlichen
Jugendhilfeträgern geleistet werden müssten.
„Kurz vor meinem 18. Lebensjahr wurde in Gesprächen mit meinem Betreuer vom Jugendamt deutlich, dass der 18. Geburtstag einen größeren Einschnitt in meinem Leben bedeuten würde, als für alle meine Mitschüler und Freunde, die nicht in einer Pflegefamilie oder einem anderen stationären Jugendhilfesetting aufgewachsen sind. Die meisten freuten sich mit 18 auf den Führerschein, auf Unabhängigkeit etc. Bei mir war da eher ein sehr flaues Gefühl im Magen, mir war klar, dass ich vom Gesetz her ab 18 ein Niemandskind war.“ (Roxan Familie für Kinder 2015 2018c)
Individuelle
Stärken fördern
In vielen Fällen stammen die leiblichen Eltern von Pflegekindern aus einer unteren Bildungsschicht, weshalb den Kindern insbesondere die Bedeutsamkeit von Arbeit und Bildung klar gemacht werden muss. So wird Bildung von vielen Pflegekindern oftmals nicht als biographische Chance wahrgenommen, weshalb die Kinder dazu ermutigt und bestärkt werden müssen, eine gute Schullaufbahn einzuschlagen und Tätigkeiten nachzugehen, bei welchen sie die Möglichkeit erhalten ihre persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse voll zu entfalten. Somit ist die Ressourcenorientierung in der Arbeit mit Pflegekinder eine zentrale Grundlage zu mehr Chancengleichheit für Pflegekinder.
Oftmals kommt es zu Abbrüchen und Neuanfängen, bei
welchen es die Pflegekinder zu ermutigen gilt, nicht aufzugeben. Da die
Bildungsverläufe von Pflegekindern jedoch oftmals diskontinuierlich und wenig
linear verlaufen, werden diese mit einer Reihe von Vorurteilen konfrontiert,
die es zu überwinden gilt, um gleichberechtigte Bildungschancen ermöglichen zu
können.
„Bei mir hieß es immer, wir sind froh, wenn die überhaupt einen Abschluss machen. Dementsprechend war es schon für manchen gewöhnungsbedürftig, dass ich jetzt länger zur Schule gehen wollte. Weil die hatten noch nie jemanden, der Abitur machen wollte. Und dann kann es ja sein, dass man ein paar Jahre zu lange zahlt für jemanden, der womöglich gar nicht seinen Abschluss macht. Das war ein Problem beim Jugendamt.“ (Onur Yamac in Hinrichs 2014)
Notwendige
Maßnahmen für die Politik
Treten starke Probleme in der Übergangsphase von
Careleavern auf, werden emotionale Belastungen erneut verstärkt, was wiederum
zu existenzgefährdenden psychosozialen Krisen führen kann. Aus diesem Grund
benötigen Careleaver eine besonders intensive Begleitung in ihrer
Übergangsphase mit dem Recht auf gleiche Bildungs- und Entwicklungschancen wie
andere junge Erwachsene.
Damit dies gelingen kann, müssen einige Reformen im
Rahmen der Politik stattfinden und Aspekte der Jugendhilfe und der
Bildungsträgern umstrukturiert werden. U.a.
scheint eine bessere
Zusammenarbeit der am Übergang beteiligten Behörden notwendig, damit Übergänge
aus der Jugendhilfe flexibel, bedarfsorientiert und individuell gestaltet
werden können.
„Es gibt unglaublich viel zum Übergang zu sagen, aber das wichtigste ist wohl, dass für jeden der für ihn individuell richtige Weg in die Verselbstständigung gefunden wird. Das Alter sollte nicht ausschlaggebend sein um zu begründen, dass jemand keine Unterstützung mehr benötigt. Die meisten haben so schlimme Erfahrungen in ihrem Leben gemacht, dass sie noch zwei, drei Jahre länger auf intensivere Hilfen angewiesen sind, um danach genauso erfolgreich ihr Leben zu meistern.“ (Roxan in Familie für Kinder 2015 2018c)
Rückhalt
bieten – Visionen schaffen
Jugendhilfemaßnahmen sollten nicht beendet werden, wenn nicht klar ist, wo die Person künftig wohnen wird und wie sie sich finanzieren wird. Auf diese Weise sollen risikoreiche Übergänge vermieden werden, um das bereits Aufgebaute nicht wieder zum Einsturz zu bringen. Hierzu ist mehr Budget für die Jugendhilfe erforderlich, damit für mehr Personal für die Jugendämter gesorgt werden kann, welche in derartigen Situationen entsprechende Beratungen und Unterstützung bieten können. So lässt sich mehr Chancengleichheit für Pflegekinder herstellen.
Neben diesen Aspekten erscheint eine Überarbeitung
der 75%-Regel erforderlich, damit Pflegekinder für ihre Zukunft sorgen und Geld
sparen können. Nur auf diese Weise kann ihnen die Bedeutsamkeit von Arbeit und
Bildung verständlich gemacht werden.
Bewusstsein für Probleme von Careleavern herstellen
Darüber hinaus muss in der Öffentlichkeit ein
Bewusstsein für die Probleme von Careleavern geschaffen werden. Insbesondere
Schulen, Universitäten und Ausbildungsstätten müssen für die brüchigen
Bildungsbiographien von Careleavern sensibilisiert werden. Es muss verdeutlicht
werden, dass viele Careleaver ihre Ziele trotz einiger Abbrüche und Umwege
erreichen, sie oftmals nur mehr Zeit, Motivation und Unterstützung benötigen.
„Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass Care Leaver mehr im öffentlichen Bewusstsein sind oder dass überhaupt ein Bewusstsein für Care Leaver da ist und dass es Strukturen gibt und Hilfen, an die sich Care Leaver wenden können. Dass man da einfach eine Unterstützung bekommt oder es Ansprechpartner gibt oder ein Netzwerk, wie wir es gerade am Aufbauen sind, dass man sich eben dahin wenden kann.“ (Sascha Beck in Hinrichs 2014)
Wollen auch Sie etwas zur Chancengleichheit für Pflegekinder beitragen? Hier können Sie für Pflegekinder spenden? Der Link!
Quellen
Familien für Kinder 2015 (2018a): Careleaver: „Wir können nichts
für die schwierigen Startbedingungen, die uns in die Jugendhilfe gebracht
haben!“, URL: https://www.careleaver-kompetenznetz.de/index.php?article_id=8,
Abruf am 18.09.2019.
Familien für Kinder 2015 (2018b): Careleaver-Forderungen an die
Politik, URL: https://www.careleaver-kompetenznetz.de/index.php?article_id=18,
Abruf am 18.09.2019.
Familie für Kinder 2015 (2018c): Interviews mit
Careleaver. URL:
https://www.careleaver-kompetenznetz.de/index.php?article_id=38, Abruf am
18.09.2019
Hinrichs, Dörte (2014): Care Leaver. Der schwierige Weg in die
Selbstständigkeit. URL: https://www.deutschlandfunk.de/care-leaver-der-schwierige-weg-in-die-selbststaendigkeit.1148.de.html?dram:article_id=281428,
Abruf am 18.09.2019.